"In der Pflege ist es fünf nach zwölf"

Der Pflegenotstand ist längst in der Bodenseeregion angekommen. Der Markt an Pflegekräften ist leergefegt und die pflegenden Angehörigen stoßen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Anlässlich des Internationalen Tags der Pflege am 12. Mai hat die Sozialstation ihre Lösungsansätze für das Dilemma vorgestellt.

„In Deutschland pflegen 2,5 Millionen Frauen und Männer ihre Eltern oder ihren Partner zuhause. Knapp 200.000 davon stehen kurz davor aufzugeben, wenn sie nicht mehr Hilfe bekommen“, zitiert Wolfgang Jauch, Vorstandsvorsitzender der Sozialstation Bodensee e.V., den „Barmer-Pflegereport 2018“. Die Erfahrungen, die die 450 Pflegekräfte der Sozialstation tagtäglich machen, unterstreichen das.

„Wir hätten Lösungen, dürfen sie aber nicht umsetzen“, sagt Jauch. „Selbst bei Pilotprojekten tun sich die Gesetzgeber schwer“, bedauert Ute Lenski, Leiterin des Pflegestützpunktes Salem-Mitte.

Jauch hat ein Kurzzeitpflegekonzept entworfen, das auf ambulante Strukturen ausgerichtet ist. Bisher dürfen nur stationäre Einrichtungen, also Pflegeheime, Kurzzeitpflege anbieten. Wer im Bodenseekreis eine solche sucht, muss lange warten. Kurzfristig, z.B. nach einem Krankenhausaufenthalt oder wenn plötzlich ein pflegender Angehöriger ausfällt, gibt es kaum Chancen. „Außerdem sind Pflegeheime darauf ausgerichtet, dass die Bewohner dort ihren letzten Lebensabschnitt verbringen und nicht darauf, dass die Gäste nach einigen Wochen wieder nach Hause gehen“, erklärt Ute Lenski.

In unmittelbarer Nähe zum Pflegestützpunkt der Sozialstation in Salem-Mitte entsteht derzeit eine kombinierte Tages-und Nachtpflege für bis zu 15 Plätze. Hier können Pflegebedürftige sowohl tagsüber als auch nachts pflegerisch betreut werden. Nur eben nicht durchgehend für mehrere Tage oder Wochen, weil dann das Heimaufsichtsgesetz Anwendung findet.

Unterstützung bei ihrem Anliegen haben die Sozialstationverantwortlichen bei Politikern bis in die höchste Ebene nach Berlin bekommen. „Lippenbekenntnisse helfen uns leider nicht weiter“, so Jauch. „Uns ist es unverständlich, dass wir nicht mal als Pilotprojekt eine Chance bekommen, die Kurzzeitpflege an die ambulante Pflege zu koppeln.“

Die Idee „Fortbildungsoffensive“ hat die Sozialstation in Kooperation mit der Justus-von-Liebig-Altenpflegeschule bereits in die Tat umgesetzt worden: 25 Mitarbeiterinnen, meist Quer- oder Wiedereinsteigerinnen, die bisher für hauswirtschaftliche Tätigkeiten eingesetzt wurden, absolvieren gerade eine mehrmonatige Weiterqualifizierung. Als Pflegeassistentinnen können sie anschließend leichte pflegerische Tätigkeiten von den examinierten Fachkräften übernehmen.

„Wir tun alles, um dem steigenden Pflegebedarf gerecht zu werden“, sagt Wolfgang Jauch. „Aber ohne Unterstützung aus der Politik wird das System in absehbarer Zeit zusammenbrechen. In der Pflege ist es bereits fünf nach zwölf.“

Zurück
Sozialstation-Pflege-02.jpg