Für die Ausbildung ist Adrienne kein Weg zu weit

| 2020

Bei der Sozialstation Bodensee e.V. arbeiten Mitarbeiterinnen unterschiedlicher Nationalitäten. Dass jemand extra aus Kamerun kommt, um in Markdorf Altenpflegerin zu lernen, kam bisher allerdings noch nicht vor.

Nach dem Abitur in ihrer Heimatstadt Jaunde hat Adrienne Tagoukeng eine Ausbildung in einer Bank gemacht. Aber schon bald war klar, dass ihre Liebe der Altenpflege gilt. „Ich habe meine Großmutter bis zu ihrem Tod zehn Monate gepflegt“, sagt Adrienne. Dabei ist der Wunsch gereift, Altenpflegerin zu werden. In Kamerun gibt es den Beruf nicht, weil alte Menschen zu Hause in den Familien gepflegt werden. Deshalb entschied sie sich, nach Deutschland zu gehen. Auch, um in der Nähe ihres älteren Bruders zu sein, der in Dortmund studiert. Die Eltern stimmten schweren Herzens zu, um ihrer einzigen Tochter den Wunsch zu erfüllen. Zur Vorbereitung hat die junge Frau acht Monate Deutsch gebüffelt – bis zur Stufe B2. Eine entsprechende Ausbildungsstelle fand sie bei der Sozialstation Bodensee in Überlingen.

„Der schlimmste Tag war mein erster Schultag“, erinnert sich Adrienne. „Da hat der Kursleiter alle wichtigen Dinge und Abgabetermine bekanntgegeben, und ich habe nichts verstanden. Die Sprachkenntnisse reichten im Frühjahr 2019 einfach nicht aus. Für Adrienne war das kein Grund zum Aufgeben. Allerdings brachten sie die mangelnden Sprachkenntnisse auch in der ambulanten Pflege an ihre Grenzen. „Mir fehlten die Fachbegriffe“, sagt sie zurückblickend. Jeden Tag bei anderen Patienten mit anderen Bedürfnissen zu sein, sei zu anspruchsvoll gewesen.

Die Verantwortlichen in Überlingen fanden eine Lösung: Adrienne konnte innerhalb der Sozialstation nach Markdorf in die Demenz-WG „Altes Kloster“ wechseln. Teamleiterin Olga Schmid erkannte das Potenzial der Auszubildenden und vermittelte ihr zunächst die nonverbale Kommunikation, die für Demenzkranke eine große Rolle spielt. „Mimik, Gestik und der Umgang sind für demenziell Erkrankte sehr wichtig“, erklärt Olga Schmid, die selbst eine Tochter in Adriennes Alter hat.

Nebenher arbeitete die ehrgeizige junge Frau weiter an ihren Deutschkenntnissen. Doch es kam eine weitere Barriere hinzu: „Das Schwäbische. Das war wie eine andere Sprache für mich“, erzählt sie.

Heute kann sie darüber lachen und schmunzelt, wenn sie beispielsweise zum „Nahocke“ aufgefordert wird. Mit den Bewohnerinnen und Bewohnern versteht sie sich blendend. Einige wiederum freuen sich, ihre Französischkenntnisse mit der jungen Pflegerin aufzufrischen. Ihre herzliche Art kommt bei Patienten und Kolleginnen an. „Adrienne ist vollwertiges Teammitglied und kann in jedem Bereich, wie medizinische Versorgung, Nachtwache und Aktivierung, eingesetzt werden. Ihre schönsten Erlebnisse? „Wenn sich die Patienten bedanken und zufrieden sind“, sagt sie ohne lange zu Überlegen. Ihre dunkle Hautfarbe sei bei der Arbeit selten ein Problem gewesen. „Wir sind ein Multi-Kulti-Team, da spielt das keine Rolle“, sagt Olga Schmid. Wichtig seien Empathie und Interesse an der Arbeit – Eigenschaften, mit denen Adrienne die Sympathien bei Patienten und Kolleginnen gewonnen hat. Was Olga Schmid ebenfalls schätzt: „Sie bringt den älteren Menschen Respekt entgegen“. Und wenn es doch mal eine negative Reaktion gibt? „Manche Menschen sind nett, manche nicht. Das nehme ich nicht persönlich“, sagt die 23-Jährige.

Nach einem Jahr hat Adrienne ihre Prüfung als Altenpflegehelferin mit der Note „2“ abgelegt. Darüber freut sie sich und peilt als nächstes Ziel die „Dreijährige“ an, die mit der Prüfung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin abschließt. Nebenher lernt sie für den Führerschein – ihr kamerunischer wird in Deutschland nicht anerkannt – um wieder im ambulanten Dienst arbeiten zu können. Und nach der Ausbildung? „Ich kann mir vorstellen, später noch ein Studium dranzuhängen, wenn ich in der Nähe die Möglichkeit finde“, sagt sie.

Azubis bei der Sozialstation

Momentan beschäftigt die Sozialstation Bodensee mit ihren Standorten in Markdorf, Salem, Überlingen und Stockach insgesamt 27 Auszubildende. Die meisten machen nach dem „Einjährigen“ (Altenpflegehelfer/-in) noch zwei Jahre bis zur Altenpflegerin/zum Altenpfleger weiter. Mehr Infos zu Ausbildungsmöglichkeiten bei der Sozialstation gibt’s bei Personalvorstand Andreas Pfeifer, Telefon: 07551/9532-12, E-Mail: andreas.pfeifersozialstation-bodenseede

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Von Teamleiterin Olga Schmid hat Adrienne Tagoukeng viel gelernt.